Platonakademie (80). Verdrängt: Nicht die Ökonomie sondern allein die Naturgesetze bestimmen, ob Wirtschaftswachstum möglich ist / Das „Ökologische Urteil“ / Tepco ist überall / Norbert Lammerts Dilemma

Platon-Akademie, 18. August 2011

Die wachsende Menschheit stützt ihre von Krisen und Kriegen geplagten Massengesellschaften notdürftig durch weiteres Wachstum. Interessenskreise lenken ab, zerreden die Unvermeidlichkeit der Krisen, ignorieren die ökologischen Gesetze und behaupten die Vereinbarkeit von Ökologie und (Wachstums-)Ökonomie. Tepco ist überall. Die PA hat daher auf die Neudefinition der Menschheit reagiert, die 2009 in der englischen Presse angeregt worden war. In PM(18), (52), (62), (63) und platonakademie.de „HS“VII analysierte sie die Ursachen der dichten Krisenfolgen.

Es ist eine Minderheit, die das Umdenken verweigert. Dass der Gesetzeskodex des Ökosystems eine genetische, für den Menschen verbindliche Verfassung des Lebens auf der Erde verkörpert, verdrängt sie durch die Vision der Vorrechte, die ihr ein im übrigen unbekannter Gott gegeben haben soll, und weist anderen Arten aus dieser als „Gewissheit“ bezeichneten Vermutung die unterste Rangstelle auf diesem Planeten zu. Aus demselben Grundsatz entwirft sie Scheingesetze zum Naturschutz, die sie im Ernstfalle übertritt, weil andere Arten nicht auch Ebenbild Gottes sind. Riesige Massen von Tieren vernichtet sie in Schlachthäusern und lässt sie in den Gettos der Massentierhaltung verkommen. Selbst Haustiere versuchen vergeblich, durch ihr Verhalten vom Sklavendasein freizukommen.

Die Medien widmen seit geraumer Zeit den Krisen-Ursachen zaghaft-oberflächliche Überlegungen. Nicht von ungefähr dokumentiert die SZ in der Ausgabe vom 8. August gleich zweimal, wie prekär die Lage des Menschen innerhalb der Gesellschaft geworden ist. In seinem Artikel „Narren im Schuldenturm“ (S.19) stellt Markus Zydra heraus, dass es wohl Umweltparteien gibt, aber keine Anti-Schuldenparteien: „Wie lässt sich das Problem lösen? Hohes Wirtschaftswachstum ist eine wichtige Voraussetzung.“ Zydras Resümee: „Es beginnt die wirtschaftliche Rückentwicklung . . .“. Gleich auf der nächsten Seite findet sich ein Artikel von Harald Hau über die Finanzhilfen, aus dem man im Grunde nur den Titel zitieren muss: „200-Milliardengeschenk für Europas Reiche“. Etwa 5% kontrollieren 70% des Finanzkapitals, ziehen zu Lasten von 95% Nutzen aus der Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Minderheit, die das Umdenken verweigert, deckt sich zum Teil mit diesen 5%. Sie folgen dem stammesgeschichtlich ererbten Gesetz der Erhaltung des eigenen Wohles (biologischen Gleichgewichts), die Umverteilung ist nichts als ein ökologischer Ausgleichsmechanismus, der so aber zu nichts führt (vgl. PM(68)).

Beide Artikel, denen man ja beipflichtet, leiden unter einem kapitalen Systemfehler: Betrachtet wird nur einseitig der Homo Sapiens für sich, als sei seine künstliche Welt ein abgeschlossenes System, einem Behälter gleich, der so gut isoliert ist, dass er nie nach außen Energie verliert oder von außen beeinflusst werden kann. Das Wort Ökosystem oder gar „Natur“ hat immer schon Naserümpfen ausgelöst. „Abhängigkeit vom Ökosystem? Was ist das? – na ja, vielleicht. Höchstens peripher, sekundär. Nein tertiär“, so die Philosophie. „Ist es überhaupt ein System? Nein. Naturgesetze sind Diktaturen, die man demokratisieren muss.“

In dem bereits 1939 mit dem verstorbenen Schauspieler Sabu gedrehten Spielfilm „Das Dschungelbuch“ sagt ein Affe: „Wir sind das größte Volk des Dschungels. Wir glauben, dass es wahr ist, weil wir immer sagen, dass es wahr ist.“ Den dramatischen Film zählte man wegen seines immensen Reichtums an (wesentlichen) ökologischen Wahrheiten zu den unbedeutenden, er war aber eine große Vorschau. Nur punktuelle wiss. Fehler müssten heute ausgebessert werden. Zum Schluss brennen sie den Dschungel nieder und besiegeln zugleich damit die eigene Katastrophe. Das Motiv ist typisch: Eine kleine Oberschicht streitet ums Gold und hasst die Vorherrschaft der Natur.

Das Ökologische Urteil.
Das Ökosystem hat mit seinem genetischen Gesetzeskodex die Funktion eines mächtigen, keinen Widerspruch duldenden Verfassungsgerichts. Und es ist Exekutive zugleich. Sofern die monotheistische Religion keinen Gottesbeweis vorlegt, der die Menschheit aus übernatürlicher Instanz zur Konkurrenz des Ökosystems macht und ihr Sonderrechte zu ewiger Vermehrung und ewigem Willkürwachstum garantiert, ist die Menschheit naturgesetzlichen Maßstäben unterworfen: Unbegrenztes Wachstum (im Sinne von Bereicherung am Komplex des Lebens) ist ausschließlich das Markenzeichen von bösartigen Tumoren und Schädlingsepidemien. Die Menschheit zerstört nach deren Muster unerbittlich sich selbst durch Erschöpfung. Der Vorwurf hat in der PA einen eigenen Namen bekommen. Er heißt Ökologisches Urteil.

Nun verdient allerdings eine bewundernswerte Spezies, wie der Mensch sie im Prinzip ist (wäre), wenigstens den ethischen Freispruch von dem gefällten Ökologischen Urteil. Zwar ist ihre Situation so verfahren, dass man der praktischen Vernunft des selbstzerstörerischen Wachstums momentan überhaupt nicht auszuweichen vermag. Das Fahrzeug rast mit blockiertem Gaspedal geradeaus. Die momentane Menschheit sichert sich aber den ethischen Freispruch, wenn sie deklarativ bekennt, dass die Ursache der Notlage nicht ihre Schuld ist, weil sie in der mythisch bestimmten vorwissenschaftlichen Weltanschauung wurzelt, in falschen Informationen also aus der Stein- und Bronzezeit, und wenn sie einheitlich nach Wegen sucht, den antibiologischen Kurs zu korrigieren. Allein ihre Versuche, nicht erst deren Erfüllung, rettet das Ansehen ihrer Besonderheit.

Statt das Ökologische Urteil über die Menschheit aufzuheben, entwerfen politisch Verantwortliche ein verschärftes Wachstumsbeschleunigungsgesetz (s. Wikipedia). Es entstand im selben Monat, in dem die Anregung geboren wurde, die Menschheit neu zu definieren. Mit beschleunigtem Wachstum geht es allerdings beschleunigt bergab. Es geht gewiss auch nicht so: Die Munich Re – selbst von der Entwicklung schwer betroffen – hat der PA gegenüber erklärt, dass sie tiefere Argumente nicht gebrauchen wolle, da das Erforderliche bereits getan werde.

Bei diesem durch Mythen verzerrten Situationsbild ist es verständlich, dass sich Norbert Lammert, Bundestagspräsident, keine Einigung von Wissenschaft und Politik vorstellen kann (SZ 9.2.2011, Wissensseite). „Die klassische Frage der Wissenschaft (übrigens auch der Religion) ist die Frage nach der einen, der unangreifbaren Wahrheit.“ In der Politik sieht er aber nicht ein Vollzugsorgan wissenschaftlich dokumentierter Wahrheit. „Das demokratisch ermittelte Ergebnis gilt, ist aber nicht unbedingt richtig.“ Für die Wissensgesellschaft ist das eine Note, mit der sie das Klassenziel nicht erreicht. Es bescheinigt der politischen Praxis den altbekannten Hang zum „Tepco-Effekt“.

Denn wenn Aufklärung nicht politisches Hauptprogramm wird, wozu haben wir dann Forschung und Wissenschaft? Die Folgen missachteter Aufklärung nennt man klischeehaft „Kriminalität“ und bekämpft sie lieber mit Panzern. Anscheinend fördert die herrschende Politik in immer mehr Staaten unbewusst die Guerillakriege der Hoffnungslosen und die Randale der Ignorierten, die aus Moral Chaos machen statt ein neues Ethos. Die Revolten werden zum Ventil. Wir blicken immer erstaunter nach Somalia, Tunesien, Libyen, Ägypten, Syrien, England. Die Französische Revolution lässt grüßen.

Firmenportrait
Die 1995 erneuerte Platon-Akademie (PA) versteht sich als Fortsetzung und Abschluss der antiken. Es geht ihr aber nicht um die Fortsetzung der spekulativen Philosophie Platons, auch Textkritik ist die Ausnahme. Die PA versucht, im naturwissenschaftlich widerspruchsfreien Konsens die richtige Antwort auf die von Platon gestellten Fragen nach der letzten Ursache der Naturgesetze und nach der Gesellschaftsordnung zu finden. Sie wurde 529 von der Kirche geschlossen.
Leitung: Anton Franz Rüdiger Brück, geb. 1938, Staatsangeh. Deutsch. Humanistisches Gymnasium. Hochschulstudien: Physik, Mathematik, Pädagogik, Philosophie. Ausgeübter Beruf: Bis 2000 Lehrer im Staatsdienst. Mail: platonakademie (@) aol.de


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