Platon-Akademie
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Zur PressemappeAktuelle Politik ist zwar nicht Kernthema der PA, doch die Türkei wird diesmal ausgenommen. Denn die Bundesrepublik antwortet auf deren Diktaturplan mit Maßnahmen, die Arthur N. Chamberlain 1938 - allerdings war es der Fall Hitler - als untauglich aufgeben musste: Die Methode des Entgegenkommens. Es geht um den komplizierten motiv-psychologischen Urstoff der Diplomatie, zu dem die PA den KOSMMA heranzieht (PM(68)). Das Ergebnis des Chamberlain-Experimentes war: In der Regel bremst Entgegenkommen nicht das Motiv eines Diktators, sondern verstärkt es. Der echten Diktatur liegt nämlich zugrunde, dass für den Diktator, von Ausnahmen abgesehen, der persönliche Erfolg zur Droge wird.
Das Münchner Abkommen vom 29.-30.1938 mit dem Deutschen Reich sollte mit territorialen Zugeständnissen Hitlers Eroberungsdrang umlenken. Chamberlain sonnte sich nach seinem Rückflug aus München noch am selben Tag im Erfolg dieses Abkommens. Der Kanzler indes pfiff ihm etwas, denn sein Ziel war, GRÖFAZ zu werden. Er setzte sich in einer plötzlichen Kehrtwende über die feine Art Chamberlains hinweg und handelte im Sinne einer noch höheren Erfolgserwartung.
Hat ein Diktator erst den Thron bestiegen, sucht er nach immer größeren Taten und wird zum Wüterich. Alexander der Große wollte die Welt bis nach Hinterindien erobern, um der größte Feldherr zu werden. Er war auf dem Weg dorthin nur aufzuhalten, indem er vergiftet wurde. Hitler hörte erst auf, als sein Land so unrettbar in Schutt und Asche lag, dass er sich erschießen musste. In unserer Zeit, wo Atombomben Kriege zum Nachteil aller Beteiligten entscheiden würden, geht ein Diktator lieber im Zickzack vor. Putin annektierte die Krim, ließ aber die Finger vor weiteren Eroberungen, als die Bundeskanzlerin Wirtschaftssanktionen verhängte und damit seinen Ruhm ankratzte. Seitdem fuchtelt er trotzdem herum, inhaltlich unverständlich für die Welt, aber eindrucksvoll für seine Bewunderer. Denen macht er vor, wer er ist, veranstaltet brutales, jedoch ruhmreiches Schaukriegs-Getümmel, zündelt an den Ecken Europas herum, stets jedoch so in Intrigen verpackt, dass er den roßen Krieg noch sicher am Zügel hat. Ebenso droht der Nordkoreaner den USA mit Großmannssprüchen und Raketenstarts, kommt allerdings nicht weit.
Welche Erfolgspalette hat sich da nun Erdogan ausgedacht für den Fall er wird absoluter Alleinherrscher? Und sollen wir gegebenenfalls nur das gescheiterte Chamberlain-Rezept variieren? Reden lässt Erdogan bereits nicht mehr mit sich, auch weil Wirtschaftssanktionen ihn weniger treffen würden als Putin. Er kann zwar keinen Krieg auslösen. Das ist vorbei. Was durch ihn ersatzweise droht, ist Terror. Dem sinnlosen Geschimpfe folgt das Mittel Sprengstoff. Wenn er die Todesstrafe einführt, kann man ihm nicht mehr trauen.
Erdogans Droge Erfolgserwartung wirkt, wie immer, umso stärker je geringer die Misserfolgsbefürchtung ist. Das ist interessant: Man kann daher im Vorhinein planen, wie man Erdogans Lust am Erfolg zunichtemacht. Seine Misserfolgsbefürchtung ist ein Ansatzpunkt.
Um die Misserfolgsbefürchtung eines solchen Fanatikers zu wecken, reichen die von der Bundesregierung favorisierten beschwichtigenden Schritte nicht aus. Entsetztes Kopfschütteln, Anstand fordern, Empörung zeigen, scharfe Zurückweisung aussprechen, all diese Klischees bedeuten hier erfahrungsgemäß eher die Verstärkung des ohnehin rasenden Erfolgsmotivs als seine Schwächung. Man vergleiche abermals Chamberlain. Sicher, Vergleiche hinken irgendwo immer. Aber nicht überall.
Mit Diplomaten, die nichts wollen als die Chamberlain-Vision variieren, ist die Bundesregierung zur Zeit überbesetzt. Auch Erdogans mit Vorurteilen gerüstete Anhängerschaft kann man damit nicht vor der Falle retten, die ihr gestellt ist.
Weil man verbal reagieren muss, sollte man sich erinnern, welchen Radius Erdogan für die sprachliche Auseinandersetzung definiert hat. Er nennt seine Opposition eine Terrororganisation, Berlin eine Naziregierung (als die er besser sich selbst bezeichnen sollte). Er greift zur Hetzkampagne. Hitler rechtfertigte seinen Zugriff auf die Tschechoslowakei durch erfundene tschechische Greueltaten. Erdogan erfindet Greueltaten der Niederländer im Balkankrieg und droht mit Vergeltung. Die Ähnlichkeit kann man nicht leugnen. Erdogan droht mit Religionskrieg, und Religionskrieg kann natürlich nur noch Bombenterror heißen. Dreißigjähriger Krieg. Davon ist seit dem 11. September erst die halbe Zeit um.
Deshalb wird sich die Bundeskanzlerin jetzt mit der Motivpsychologie des Despotenwahns beschäftigen
müssen, ob ihr das gefällt oder nicht. Erdogan ist zwar noch kein Diktator und wird vielleicht auch am 16. April keiner, aber trotzdem muss damit gerechnet werden, muss man sich rechtzeitig mit einer grundlegenden Tatsache anfreunden: dass die Erfolgsdroge nicht nur die Politik ins Chaos stürzt. Denn sie findet sich auch im Verhalten verwilderter Halbwüchsiger in der Schule. Das ist ein ernstes Kapitel, nachdem die ganze Gesellschaft aus Halbwüchsigen hervorgeht. Wenn ein Schüler (mit entsprechender Charaktereigenschaft) merkt, dass sein Lehrer, der ja nicht nur Lehrplanumsetzer ist, die nötige Ordnung in der Klasse nicht beherrscht, entdeckt er seine Chance der überragenden Rolle und greift zur Steigerung dieses Erfolgs zum Beifall der Mitschüler. Das Muster hat Allgemeingültigkeit.
Hier liegt der Kern jener Kritik, die, gegen Erdogan begründet vorgebracht, Wirkung zeigen würde, eben weil der Vorwurf, das Muster eines Halbwüchsigen nachzuahmen, keine Beleidung ist, sonden psychologische Tatsache, weltweit bekannt ist, fundiert und unwiderlegbar. Selbst ein Diktator schluckt den Vorwurf nur mit Mühe. Man nennt es ja auch „Freude vergällen“. Denn geweckt wird besonders seine Misserfolgsbefürchtung: Die Anhängerschaft würde sofort verstehen, so sie davon davon überhaupt erfährt. Es gäbe auch noch eine Alternative zu dieser „Behandlung“, das wäre der energische Schritt der Niederlande. Soweit man es beurteilen kann: Unsere Leisetreterei rät von beidem ab.
War es nicht so, dass sich Kanzleramtsministers Peter Altmaier bei Anne Will am 12.3.2017 wie untertänig an die Seite eines raffinierten türkischen Redners stellte? Weshalb ignorierte er die türkeiskeptische Haltung von 80% der Deutschen? Am 18.3. in Frankfurt demonstrierten dann Zehntausende von weitaus mutigeren Kurden gegen Erdogan, mit einem hörbaren „Nein zur Diktatur!“ Da Anne Will dieselbe schweigsame Haltung einnahm wie der Kanzleramtsminister, darf man nicht unbesehen ausschließen, dass alles auf höchster Ebene vereinbart war: Ein bisschen schon widersprechen, aber ja nicht viel!
Der sich zunächst einfallslos gebende türkische Gesandte - schlauerweise nur Minister für Sport - suggerierte einleitend geschickt Überparteilichkeit und legte dann ganz anders los. Er verbuchte den Triumph, dass man ihn vor einem riesigen Fernsehpublikum, größer als jede öffentliche Versammlung jemals sein kann, frei sagen ließ was er wollte. Vor diesem Publikum veranstaltete er so, talentiert wie ein Protagoras, seine sophistische Schönfärberei. Er wusste genau, dass ihm die Hälfte der Zuschauermasse Rehabilitierung des unglaubwürdig dastehenden türkischen Präsidenten abnehmen würde, den er als gerecht und klug vorführte. In einem Leserbrief dazu an die SZ am 18.3. sprach eine Frau aus Hebertshausen von einer Talkshow, in der „einem türkischen Minister eine Plattform gegeben wird, zu lügen, zu verdrehen - und das noch auf Türkisch!“ In dem Leserbrief wird die Frage laut, warum wir nicht Cem Özdemir hören durften. In Deutschland kommt die Toleranz gegenüber Diktatoren mehrheitlich nicht mehr an.
Der fundamentale Schlüsselbegriff des Problems ist die „absolute Freiheit“ (PM(211)). Die PA beginnt ihre Grundlagenanalyse der Psychologie der Massen, anders als Gustave Le Bon, mit PM(18) und PM(63)). Siehe auch PM(200) und (147). Erdogan nimmt sich bereits als Anwärter des Diktator-Amtes die absolute Freiheit heraus, die definitionsgemäß die Freiheit umfasst, jede Art von demokratischer Freiheit abzuschaffen. Da darf doch ausgerechnet das Kanzleramt, dem das Problem der absoluten Freiheit mitgeteilt worden war, nicht vor einem Millionenpublikum einschlafen! Bei Heinrich Heine steht der Satz: „Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.“ Auf der anderen Seite der Erdkugel ging die Bundeskanzlerin inzwischen einem anderen Kuddelmuddel auf den Leim.
Schaun wir mal, dann sehn wir schon.
Sollte Erdogan das Referendum gewinnen, wird er sich ebenso den Religionsterror überlegen (den sein Außenminister sowieso verkündet) wie die Säuberung des eigenen Landes. Er wird, unter seinem Erfolgsdruck stehend, neue Verhaftungen vornehmen und um jede Kleinigkeit streiten. Einflussreiche Oppositionelle wird er zur Schau als Staatsfeinde hinrichten lassen. Vor allem jedoch müssen wir damit rechnen, dass Europa dann türkische Tricks überdiplomatisch behandelt. Es können nämlich ein paar freundliche Worte Erdogans genügen, um sogleich in der EU euphorische Beitrittsangebote neu in Gang zu setzen (an ein außereuropäisches Land, man könnte auch den Kongo nehmen). Die Beitrittsverhandlungen würden im Freudentaumel mit Finanzhilfen geschmückt und mit einer Glückwunschkarte überreicht, auf der bunt gedruckt „Na endlich!“ stünde. Die EU wäre gespalten. Immerhin hat Erdogan in Europa den Anker bereits geworfen, den er sich in Deutschland in Form von Millionen Anhängern besorgte. Die langen Gesichter kämen zu spät. Die herumstehenden Rechtsextremisten würden in Erdogan ein Genie zum Verbrüdern gefunden haben, das Europa nicht mehr loskriegt.
Schlussbemerkung: Vor kurzem war der Zugang zu diesen Artikeln (nur diesen) minutenlang blockiert. Sieht man von Bagatellursachen ab, kommen drei Quellen in Frage. Der Leser muss damit rechnen, dass von dort längere Blockaden ausgehen. Die PA reagiert auf ihre Weise.
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Portrait der Platonakademie.
Die 1995 erneuerte Platon-Akademie (PA) versteht sich als Fortsetzung und Abschluss der antiken. Sie versucht, im naturwissenschaftlich widerspruchsfreien Konsens die richtige Antwort auf die von Platon gestellten Fragen nach der Herkunft der Naturgesetze und nach der besten Gesellschaftsform zu finden. Vor allem ist sie als Internet-Akademie aktiv. Sie strebt keinen juristischen Status an (Verein etc.). Die PA wurde 529 von der Kirche aus weltanschaulicher Konkurrenz verboten.
Kontakt: Anton Franz Rüdiger Brück, geb. 1938, Staatsangehörigkeit Deutsch. Humanistisches Gymnasium. Hochschulstudien: Physik, Mathematik, Philosophie, Pädagogik. Ausgeübter Beruf: Bis 2000 Lehrer im Staatsdienst. Zuschriften bitte per Post an: s. Impressum in platonakademie.