Platonakademie(210): TFZ im Rückspiegel. Ein bronzezeitliches Dokument sah als Anfang ein Ureines (ohne Gott) / Ein Ureines muss allumfassend sein und sich selbst verursachen / Der Glaube auf dem Rückzug / Kürzungen am 14.5.2017*)

Platon-Akademie, 5. Januar 2017

Die altindisch-vedische Idee des Ureinen zielte auf eine rationale Kosmologie ab. Sie sah keinen Schöpfergott für das zu allererst Dagewesene. Allenfalls entstand ein solcher erst nachträglich aus dem Ureinen, um die Welt zu „vollenden“. Doch schon hier zeigt sich, dass damals die Begriffe fehlten. Denn um ein Ureines logisch greifbar zu machen, muss man es als das Erst-Existierende verstehen, und zwar im Sinne einer irgendwie gearteten latenten Voraus-Zusammenfassung des heute insgesamt Existierenden. Da musste niemand dem Ureinen mit einer Vervollkommnung zu Hilfe kommen.

So wurde die Idee wild zerredet und gilt noch heute als Glaubenssache, was insofern nicht zutrifft, als sich die Idee des Ureinen axiomatisch auswerten lässt.

Vor allem beinhaltet das Allumfassende auch per definitionem seine eigene Ursache und Herkunft. Eine solche innere Ursache muss, wenn sie denn existiert, selbst eine Ursache haben, und diese wieder, und zwar im Sinne des Fundamentalsatzes (PM(113)): Ihm zufolge ist eine nichtexistierende Ursache gleichzusetzen mit dem in der TFZ einzig denkbaren Nichts (Nichtexistierenden), und ein mit ihm Verursachtes ist ebenfalls Nichts. So kommt es zwangsläufig zum unendlichen Regress existierender Ursachen, dessen Realität dann die hierarchisch unendlich geordneten Universen (UO) voll bestätigen. Mehr z.B. in PM(148).

Die vedische Idee fordert jedenfalls weniger utopistische Hypothesen heraus als der Versuch, die Welt durch den höheren, unerklärlichen Willen eines unerklärlichen Gottes zu erklären. Mit Unerklärlichem etwas zu erklären, diese Absicht der Glaubensreligionen lässt den niedrigen Wissensstand der Bronzezeit erkennen. Ein von außen eingreifender Schöpfer fordert viele Hypothesen ad hoc.

I. Das Schöpfungslied

Das berühmte Schöpfungslied**) aus der Textsammlung des Rigveda zweifelt an einem Schöpfergott außerhalb des Ureinen, bringt den Zweifel aber nicht ganz auf eine klare Linie. Um das zu verstehen, betrachtet man am besten den Verlauf. Die Glasenapp-Übersetzung: In den Versen 2 und 3 wird durchaus konsequent gesagt, das „ES“ sei aus sich selbst „durch die Kraft des eigenen Willens“ hervorgegangen. „In aller Ursprünglichkeit atmete Es ohne Luft.“ Die Rede ist vom „ES“, „außer dem nichts anderes war“. Das weist eindeutig das Ureine aus. Mit „Wille“ ist hier nicht unbedingt etwas geisteswissenschaftlich Psychologisches gemeint, sondern eher allgemein das Motiv, der Beweggrund.

Geldners Übersetzung besagt dasselbe: „Es atmete nach seinem Eigengesetz ohne Windzug, dieses Eine. Irgend ein Anderes als dieses war weiter nicht vorhanden.“

Wenn das Gedicht seltsame Wege des Ursprungs nennt wie, am Anfang sei weder Seiendes noch Nichtseiendes gewesen, so ist das unsinnig, weil Nichtseiendes nicht Seiendes ist und ein Drittes logisch ausgeschlossen ist. Im logischen Denken ist „Nichtseiendes“ alternativlos die Negation von „Seiendes“. „Nichts“ meint das, was nicht existiert (PM(113)). Neuerdings ist nun der Verdacht entstanden, hier liege streng genommen gar kein Unsinn vor. Auch deshalb wurde der Text dieses Artikels nach seiner Veröffentlichung überprüft und von Unklarheiten befreit**). Die bronzezeitliche Unsicherheit der Begriffe für Nichts und Etwas könnte sich nämlich bis heute in der Tatsache erhalten haben, dass es noch immer keine präzise Einigkeit darüber gibt, ob die Null und die Eins überhaupt streng zu unterscheiden sind. Dann hätten die Veden ein unbestechliches Gefühl formuliert. So hat Peano in seinen Axiomen nicht klären können, ob die Null oder die Eins die erste natürliche Zahl ist. Er entschied sich zum Schluss sogar für die Null. Erst die TFZ kann die Frage angehen, da sie ja die Null und die Eins als unscharfe Größen ausweist.

Der Gott, der die Welt aus dem Ureinen „erschuf“, konnte sie nur aus dessen Substanz formen. Er ging auch nach Ram Adhar Mall´s Interpretation selbst aus dem Ureinen hervor***). Er war also kein allmächtger Gott. Alle indischen Götter sind erst nach dem Ureinen entstanden. Angesichts der Möglichkeit einer generellen Selbstverursachung durch die UO sind sie völlig überflüssig. Tatsächlich gestehen die letzten zwei Verse 6 und 7 Unklarheiten ein.

Doch wer hat dies Wortspiel je verstanden?
Woher das Es, blieb alle Zeit verschwommen.
Die Götter sind erst nach dem Es entstanden.
Wer sagt uns also, wo es hergekommen?

Der Gott, der einst das Eine hat vollbracht,
Der auf es schaut vom höchsten Himmelslicht,
Der es gemacht hat oder nicht gemacht,
Er weiß das! – oder weiß auch er es nicht?

Die Geldner-Übersetzung wurde hier stilistisch geringfügig modernisiert.

War das vedische Dokument vielleicht eine erste Reaktion auf den ungefähr zeitgleichen Mosaischen Schöpfungsmythos, dessen Allmacht-Utopie den Veden auffiel? Bis heute blieb der a-theistischer Vorbehalt in der indischen Weltanschauung erhalten.

Die biblische Vorstellung von einem sprechenden Gott im Sternhimmel ähnlich einem Menschen konnte sich im toleranten Indien erst dann ein wenig ausbreiten, nachdem der biblische Theismus angefangen hatte zu verwässern und zu verschwimmen. Er „überzeugt“ umso mehr, je weniger er darauf besteht, dass der Gott ein höherer Homo Sapiens ist. Angeblich gibt es über 40 000 Glaubens-Varianten, Sekten. Im Großen und Ganzen leutet also der vedische Ansatz einen Rückzug des Glaubens ein.

II. Zur Selbstverursachung
des Allumfassenden

Dass es Selbstverursachung (ohne eingreifenden Gott) gibt, beachtet kaum jemand bewusst, doch versteht schon ein Grundschüler ihre Struktur, wenn man ihn darauf hinweist: Hinter aller Selbstverursachung steht nichts anderes als die Zahl.

Sie präsentiert sich anschaulich in der Form der hierarchischen Zahlensysteme, die, wenn sie unbegrenzt sind, eine absolute Selbstverursachung ausdrücken. Das Verursachungsprinzip kommt so zum Ausdruck: Die Einer gibt es sicher dann, wenn es die Zehner gibt. Zehner gibt es, wenn es Hunderter gibt. Hunderter gibt es, wenn es Tausender gibt usw. Umgekehrt: … der Tausender ist Voraussetzung des Hunderters, dieser ist Voraussetzung des Zehners, dieser Voraussetzung des Einers. Die Einer sind dann weiter Voraussetzung der Zehntel, Zehntel sind Voraussetzung der Hundertstel usf. ohne Grenze gegen Null. Was dazu berechtigt, vom absoluten Verursacht-Sein zu sprechen, ist der Begriff Unendlich: Weil es keine größte Zahlenordnung gibt, hat jede Zahl eine erschöpfende Ursache. Man müsste also, um die Selbstverursachung zu widerlegen, beweisen können dass es eine größte Zahl gibt.

Allein die unendlichen hierarchischen Ordnungen (UO) der Universen (s. (PM(6), (7), (10), (148) u.a.) sind die reale Abbildung dieser allumfassenden Zahlensysteme. Endliche Teile dieses Weltganzen sind daher Abbilder von endlichen Teilmengen der unendlichen Zahlenordnungen.

Die UO zeigen (PM(148) bis (152)), dass die Gesamtwelt immer und überall aus dem Selben besteht. Es umfasst alles und wird in Indien Brahman genannt. Auch die Seele (Lebensfunktionen) des Einzelnen, sind Brahman-Substanz. Das gesamte Sein in diesem Sinne als ein einheitliches Sein (Eines) zu begreifen, als ein Ungeteiltes - „A-dvaita“ - , diese Vision ist das um 700 n. Chr. von Shámkara herausgearbeitete End-Wissen, Vedanta (Veda = Wissen, vgl. lat. vidére = sehen, und Anta = Ende). Shámkara hatte eben den Eindruck, dass man es mit Allumfassendem zu tun hat, auch wenn er die Zahlensystematik nicht heranzog.

Um freilich nun angesichts dessen zu sagen, welche Erscheinungsform das vedische Ureine hatte - oder hat, falls es im Hintergrund noch heute im Universum versteckt ist - müssen wir vor allem die Gegenwartsbedingung heranziehen. Wie sich mit der TFZ herausstellt, lässt sich das Ureine als ein Objekt interpretieren, das vor dem Start unseres Universums da war.
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*) Der Artikel enthielt Ausflüge in Gebiete, die später im Zusammenhang des Themas überflüssig erschienen. Auch zeigten nachfolgende Artikel, dass ein paar Details schärfer gesehen werden können.
**) Die Gödelsche Unvollständigkeitstheorie wird dabei durch die Hinzunahme solcher Axiome verwirklicht, die bei fortschreitender Zahl die Gesamtheit des Bisherigen mehr und mehr im Konsens vervollkommnen. Es wird spekuliert - und ist nur eine Vermutung! - dass die Zunahme der Weltmasse mit jeder El bzw. Ez ein neues Axiom vorgibt. Die Zunahme geschieht mit der in diesen Einheiten aktiven Wahrscheinlichkeit. Jede nachfolgende Ez trägt noch unwesentlicher zum Verständnis der komplexen Wirklichkeit bei als die vorangehende. Die Bedeutung der Axiome ginge so asymptotisch gegen Null. Es sind heute 10^41.
***)Ram Adhar Mall, DER HINDUISMUS, Darmstadt 1997, S. 12. Dort das Schöpfungslied auf Deutsch. Auf Sanskrit in: Sammlung Göschen 1158.

Portrait der Platonakademie.
Die 1995 erneuerte Platon-Akademie (PA) versteht sich als Fortsetzung und Abschluss der antiken. Sie versucht, im naturwissenschaftlich widerspruchsfreien Konsens die richtige Antwort auf die von Platon gestellten Fragen nach der Herkunft der Naturgesetze und nach der besten Gesellschaftsform zu finden. Vor allem ist sie als Internet-Akademie aktiv. Sie strebt keinen juristischen Status an (Verein etc.). Die PA wurde 529 von der Kirche aus weltanschaulicher Konkurrenz verboten.
Kontakt: Anton Franz Rüdiger Brück, geb. 1938, Staatsangehörigkeit Deutsch. Humanistisches Gymnasium. Hochschulstudien: Physik, Mathematik, Philosophie, Pädagogik. Ausgeübter Beruf: Bis 2000 Lehrer im Staatsdienst. Zuschriften bitte per Post an: s. Impressum in platonakademie.de


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