Platon-Akademie
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Zur PressemappeGespräche münden häufig in die Frage, ob und wie das Ich sich nach erfolgtem identischem Wechsel eindeutig wiedererkennt (Ich-Kontinuität). Es könnte sich auch in verschiedene Ichs aufgespalten haben, so dass es nicht mehr wüsste, wer es ist. Die Frage wurde bisher wenig beachtet, weil die Antwort selbstverständlich scheint: Ja, es erkennt sich wieder. Aber es geht um rationale Argumente, nicht um religiöse Einflechtungen.
Durch die vermuteten Paralleluniversen, die auch ohne die Theorie der fließenden Zeit (TFZ) quantenmechanisch denkbar sind, wird das Thema ebenfalls aufgeworfen. Allein aufgrund der Unvorhersehbarkeit von Ereignissen ist eine Vielfach-Aufspaltung aber noch nicht auszuschließen. Für den Nachweis der Kontinuität des Ichs muss zum einen geklärt werden, dass es nicht möglicherweise einige Paralleluniversen gibt, sondern mit Sicherheit unendlich viele**). Zum andern sind Kriterien aus der Motivpsychologie nach PM(68) heranzuziehen. Folgende kurze Einführung gibt Neueinsteigern Orientierungshilfen.
I. Das Grundsätzliche an
den Ergebnissen der TFZ
Nach dem in PM(113) erläuterten sog. Fundamentalsatz über Nichtsein und Sein („Nichts und Etwas“) von 1956 kommt allein der räumlichen bzw. zeitlichen Ausdehnung Existenz zu (zur Rolle der Zeit s.u.). Endliche mathematische Punkte-Teilmengen des Raumes müssen Grundlage aller Objekte bzw. Phänomene sein. Man mag, wenn man nur flüchtig an die Sache herangeht, einwenden, solche Überlegungen seien Wortspielereien, das Ganze müsse erst einmal formalisiert sein um zuverlässige Schlüsse zu erlauben. Es ist aber zu bedenken: Um im Fundamentalsatz die nötigen Axiome für formalisiertes Schließen zu definieren, braucht man so viel Allgemeinsprache, dass es auf dasselbe läuft.
Ab 1969 machte dann die Formulierung der unwillkürlich fließenden Gegenwart ***) den Fundamentalsatz nachvollziehbar: Der TFZ zufolge rufen erst Wechselwirkungen (WW) innerhalb der Punktmengen deren räumlich-physikalische (= als wirklich empfundene) Realität hervor. Z.B. haben translativ bewegte Punkte Protonenmasse.****)
Dass wir mit dem Fundamentalsatz „alle“ Erscheinungen erfassen, besagt dass auch die vielgenannten Lebensphänomene wie Geist und Seele, die man vorwissenschaftlich so nannte, auf Punktmengen zurückführbar sein müssen. Das ermöglichen die WW-Funktionen in den Punktmengen. In PM(150) wurde darüber bereits Wesentliches gesagt: Jeder Körper (hier O genannt, Objekt) besteht aus n = 1,2,3,… Punkten, also Atomen, Molekülen, oder Zellen u. ä., wobei die mögliche Zahl der WW, die Komplexität K, bei großem n mit dem Quadrat von n steigt. Eine Milliarde Neuronen haben nach der genauen Formel (PM(55)) schon eine maximale Komplexität der Größenordnung 10^17. Von „immateriell“ darf bei den WW durchaus die Rede sein, da ihnen die Wahrscheinlichkeit zugrunde liegt (PM(166)). Im Gegensatz dazu könnte man die rein mathematischen, toten Punktmengen als Materie bezeichnen. Dabei zeigt die TFZ zweierlei:
1. dass infolge der unwillkürlich variablen Gegenwart T (= momentane Uhrzeit) die Koordinaten der Punkte wie eben angedeutet quantenmechanischen Wahrscheinlichkeitscharakter bekommen (z.B. PM(74)).
2. dass es auch das sinnlich nicht erfahrbare Jenseits gibt, nämlich jene erwähnte unendliche Universenmenge, die sich durch ihre Unendlichkeit selbst verursacht **): Jeder augenblickliche Zustand eines Objektes ist zeitgleich in einer unendlichen Universen-Teilmenge UT1 der unendlich mal unendlich vielen hierarchisch geordneten Universen (UO) dokumentiert und archiviert. (In PM(150) wird vorausgesetzt, dass die UT eines Objektes auch in jeder der unendlich vielen hierarchischen Ordnung existiert, was bisher nicht zu widerlegen war.) Den 1. Augenblickszustand nach der Veränderung eines Objektes finden wir dann abgebildet in einer Menge UT2 ungleich UT1. Das Sein der Universen in den UO hat demnach wesentliche Eigenschaften, die Platon von seinem Ideenreich erwartete, denn unvergänglich sind die Objekte in einem Jenseits dieser Art wegen der unendlichen Mächtigkeit der Menge ihrer Abbildungen. Allerdings sind die UO nur für die Sinne und die Empirie ein Jenseits, der Logik sind sie zugänglich. Eine sehr allgemeine Übersicht bietet übrigens PM(101).
Es sei schließlich daran erinnert, und wir müssen im Folgenden darauf zurückgreifen, dass nach der Gegenwartsbedingung GB***) der TFZ der wahrgenommene Raum nur scheinbar „ob“-„jektiv“ (zu Deutsch: als etwas dem Subjekt (J) von außen „Entgegengeworfenes“) existieren kann, d.h. unabhängig von einem wahrnehmenden Subjekt (PM(87)). Er und seine abzählbaren Punktmengen-Objekte sind, ohne dass das im praktischen Leben auffällt, nichts weiter als eine Vorstellung, die sich das Ich J von der a priori fließenden Zeit macht. Oder so: Die Zeit existiert a priori, der Raum a posteriori. Raum besitzt zwar Wirklichkeit, aber ausschließlich im Bewusstsein von J. Der deutsche Philosoph Immanuel Kant nannte es einen Skandal der Philosophie, hierüber nichts sagen zu können (PM(87)). Deshalb nennt die PA den Satz „die Außenwelt ist reine Vorstellung“ zu Ehren Kants auch „Skandalsatz“. Am Schluss des Artikels ist hierzu noch ein wichtiger Gesichtspunkt zu finden.
Im Alltag dürfen wir demnach ganz gewöhnlich die Außenwelt wie unabhängige Realität interpretieren. Genau besehen gilt jedoch der Skandalsatz.
II. Das Ich als Archiv
für Erinnerungen
Durch unzählige WW addieren sich die Erinnerungen des ganzen Lebens, soweit gespeichert, zu einem komplexen Erinnerungs-Bestand, der sich intern ununterbrochen umgewichtet, je nach Lebenssituation. Selbstverständlich sind nur extrem wenige Einzelheiten meines Universums in meinen Erinnerungen gespeichert. Was im Andromedanebel oder auch nur hinterm Haus gerade vorgeht, gehört schon nicht mehr zur Definition des konkreten Ichs! Die Gewichtung geschieht, soweit es bis jetzt durchschaut ist, durch die berühmten Überraschungen, die in jeder Sekunde auftreten (näheres s.u.).
Der Erinnerungs-Bestand wird in jeder Sekunde dadurch bewusst dass eine vorrangige Erinnerung zur „Vorstellung“ aufsteigt. Die in sie integrierten bleiben unterbewusst, sind aber kausal indirekt an der Feinstruktur der Vorstellung beteiligt. Wir liegen nicht ganz falsch wenn wir sagen, sie scheinen durch. Auf diesem Weg sind Vorstellungen auch immer wieder schwankend oder zweifelhaft. Nur eines dürfen wir dabei nicht vergessen: Binnen einer üblichen Sekunde unserer Zeitzählung ist die Vorstellung unveränderlich. Bis sie bewusst wird, ist sie vorbei.
Haben wir also eine derart definierte Vorstellung, so besetzt die jeweils bereits veränderte nachfolgende Vorstellung die nächste Sekunde.
Wegen des Skandalsatzes erscheinen im Vorrat der Erinnerungen Überraschungen allerdings unverständlich. Es muss offenbar irgendeine Art Spontaneität unter den Erinnerungen geben, die an zufallsbedingte Quantensprünge erinnert. Da die oben definierte Zahl n jedoch immens ist, kann die übliche quantenmechanisch definierte Wahrscheinlichkeit für diese Spontaneität nicht gut verantwortlich sein. Nicht voraussagbare WW unter den Motiven im Kosmma, die ja auf Erinnerungen basieren und ständig neue, eben nicht voraussagbare Vorstellungen bewirken, sind vermutlich nur dem Anschein nach reinem Zufall unterworfen. In Wahrheit geht (es bleibt kaum etwas anderes übrig) die Voraussagbarkeit in der nicht durchschaubar hohen Komplexität unter. Eine Überraschung, z.B. ein Blitz oder ein Unfall, ist demnach, wie beim Alptraum, bereits eine Kombination vieler Erinnerungen, wobei das Genom mit angeborenen Ur-Erinnerungen (Ur-Wünschen und Ur-Ängsten) die Situation wesentlich von Grund auf mitsteuert.
Wir nehmen dazu das Interferenzmodell der Wellen zu Hilfe: Die steuernden Ur-Erinnerungen und ihre Kombinationen addieren sich gelegentlich zu Wellenbergen. Vielleicht ist der berühmte Tsunami der richtige Vergleich, bei dem auch der feste Meeresgrund mitspielt, der dann dem Genom entspräche, wie wir gleich sehen werden.
Bevor die Kenntnis der molekularbiologischen Komplexität kam, musste man zu transzendentalen Phänomene wie Geist, Seele und Vitalität Zuflucht nehmen. Daher die vielen Glaubensrichtungen wie Wahrsagereien, Kartenlesen usw. Aber der Fundamentalsatz schließt irrationale Gründe aus. Es kann höchstens eine Rolle spielen, dass wir wichtige rationale noch nicht kennen.
III. Die Kontinuität des Ichs:
Was ist, wenn der Blitz das Subjekt erschlägt?
Die psychologische Rolle der UT ist zwar noch nicht zu Ende untersucht. Alles darüber zu wissen, wäre jedoch für das Thema dieses Artikels nicht primär wichtig: Es geht uns bei der Frage des identischen Wechsels um die Ich-Kontinuität, die kausale Fortsetzung der im Augenblick T dominierenden Erinnerung. Der Vorstellung haben wir eine psychische Lebensdauer von im Mittel einer Sekunde zugeordnet. Weiter wissen wir: Diese eine Vorstellung konkurriert bei gesundem Bewusstsein nicht in derselben Sekunde mit einer widersprechenden anderen. Ich kann mir nicht gleichzeitig sondern höchstens schnell wechselnd das Meer und das Land vorstellen. Da ein vorgestelltes Bild höchstens im Sehpunkt (gelber Fleck) scharf wird, drum herum stets verschwimmt, ist es gleichzeitig mit benachbarten Unsicherheiten verbunden und wir prüfen, indem wir schnell anderswohin schauen, die Eindeutigkeit, was jedes Mal als kleine Überraschung erlebt wird. Deshalb ist eine augenblickliche Vorstellung, die wir ohne Hinschauen mit dem Auge „sehen“, eher ein Eindruck vergleichbar einem Gemälde des Impressionismus. Dennoch haben wir auch dann im Ganzen eine in sich stimmige Vorstellung, die eben zum Zwecke der Prüfung sich binnen einer Sekunde verändert.
Die letzte bewusste Vorstellung vor dem Abschalten der Komplexität des Gehirnmaterials (Todeszeitpunkt) wird infolge der Existenz jener UT, die den gesamten Erinnerungsbestand darstellt, auch gleichzeitig die erste bewusste nach dem Abschalten sein. Dies läuft ohnehin grundsätzlich beim Wechsel zur nächsten Sekunde so ab. Was wir dabei als Bewusstsein bezeichnen, als Grad seiner Klarheit, ist nicht wichtig. Das Bewusstsein kann vor dem Abschalten auch bereits traumhaft geworden sein.
Erfolgt das Abschalten binnen einer Sekunde x, z.B. bei einem ausreichend starken Blitzschlag, so wird gar kein niedrigerer Bewusstseinsgrad mehr erreicht als der in der Sekunde x des Blitzschlags und der Blitzschlag wird nicht in den Erinnerungen gespeichert. Die Sekunde des Erlebnisses ist abgelaufen bevor es gespeichert ist. Das bedeutet, dass der Moment des Treffers zur Leersekunde wird und in der UT muss notwendigerweise diejenige Vorstellung die Führung übernehmen, die in der Sekunde x-1 vor dem Blitzschlag bewusst war. Damit ist die Kontinuität ebenso gewahrt wie bei jedem Sekundenwechsel im Lebensablauf.
Wir wollen noch ein paar Fragen beantworten.
Bleiben nach dem Blitzschlag einige Sekunden bis zum Erlöschen der speichernden Komplexität, so kann das Blitzerlebnis gespeichert worden sein. Waren die Sekunden infolge eines Schocks vorstellungsleer, haben wir den Fall, den wir eben besprachen. Es findet jedoch in solchen Sekunden nach dem Treffer, die nicht wirklich vorstellungsleer sind, eine nach unserem klinischen (empirischen) Wissen obligate Ausschüttung von Endorphinen statt. Sie erzeugen überraschende paradiesische Vorstellungen, die aus Erinnerungen zusammengesetzt sein müssen, so dass der Blitzschlag vergessen wird. Darüber hinaus wissen wir, dass die Speicherung guter Erinnerungen favorisiert ist und die der schlechten unterdrückt wird: die Geschichte von den guten alten Zeit, sprich guten Vergangenheit.
Noch ein Wort zu unserem Körpermaterial. Da dieses nach dem Skandalsatz nur vorgestellt sein kann, richtet es sich nach den Erinnerungen. Der Organismus erscheint nach dem Wechsel stets im selben Maß verjüngt wie die für den identischen Wechsel maßgebliche Erinnerung. Somit erkennt das Ichbewusstsein an sich selbst keine Alterung (der Himmel ist genauso blau wie in der frühesten Kindheit). Allein das Material (s. auch den Nachtrag) altert, was offensichtlich sekundär ist.
Es ereignet sich, nachdem Kontinuität besteht, auch keine Ich-Spaltung in dem Sinne, dass ich beispielsweise sowohl zu einer Tasse greife als auch nicht. Ich bleibe bei genau einer UT. Dem Fall dass ich nicht nach ihr greife, entspricht eine andere vorangehende Motiv- bzw. Vorstellungssituation als dem Fall dass ich nach ihr greife.
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Nachtrag:
Gehört mein Gehirn zur Außenwelt?
Wir gehen noch auf die Frage ein, ob nicht auch die Gehirnmaterie selbst zur Außenwelt gehört. Die eigenen Gehirnzellen sich als Außenwelt vorzustellen, ist zwar kaum möglich. Grundlegend ist jedoch: Erst durch Wechselwirkungen (Funktionen) werden die Neuronen psychisch relevant. (Das Universum im Ganzen gewinnt als Punktmenge seine Existenz nur durch die zwischen den Punkten wirkende Gravitation und anderer Kräfte, die ihrerseits nur Wahrscheinlichkeits-Unschärfen der kräftefreien Bewegung repräsentieren (s. PM(166))!) Es bietet sich so die Möglichkeit an, von der reinen Punktmenge, dem Material, abzusehen weil allein die Funktionen das Ich charakterisieren. Die Punktmenge des Neuronen-Materials gehört demnach zur Außenwelt, auch wenn sie als die eigene nicht gut vorstellbar ist. Das ist nicht ganz so ungewöhnlich, denn wir tun uns bei vielem schwer mit der Vorstellung, obwohl es Außenwelt ist: Der Sonnenkern ist ein Beispiel, das Atom ein anderes
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*) Er ist in mehreren Artikeln behandelt, empfohlen wird PM(149) bis (152).
**) Dazu Pressemitteilung PM(4) und (7) sowie ausführlich PM(148) u.a.
***) www.platonakademie.de „HS“ II S.2, ferner u.a. PM(1), (3), (74)
****) Übersicht u.a. in PM(82), (136).
*****) platonakademie.de „HS“ II S.2, dort allerdings nicht explizit thematisiert.