Platonakademie(146): Steven Weinbergs Religionsbild auf gleicher Höhe mit Lucretius Carus / Ägyptens entscheidende Tat / Religion wollte einst Wissenschaft werden

Platon-Akademie, 5. Juli 2013

Die Klage des römischen Naturwissenschaftlers Lucretius*) „Tantum religio potuit suadere malorum!“ („So viel Schlimmes vermochte uns die Religion anzuraten!“) erlangt heute neues Gewicht durch den Physiker und Nobelpreisträger Steven Weinberg, der in einem Interview (The Atheism Tapes) sagte: „Ich denke, dass ein enormer Schaden von der Religion angerichtet wurde – nicht nur im Namen der Religion, sondern tatsächlich von der Religion.“ 1999 beschrieb er auf der Konferenz "Cosmic Questions" der American Association for the Advancement of Science (AAAS) die Rolle der Religion noch eingehender: „Religion ist eine Beleidigung der Menschenwürde (religion is an insult to human dignity). Mit oder ohne sie würden gute Menschen Gutes tun und böse Menschen Böses. Aber damit gute Menschen Böses tun, bedarf es der Religion.“**)

So klare Äußerungen historisch herausragender Denker legen den tiefen geistigen Riss frei, der diachronisch und synchronisch die ganze Menschheit durchzieht. Man muss sich dazu bewusst machen: Bereits der Monotheismus wollte das Ideal verwirklichen, aus einem einzigen Denkansatz heraus vollständig die Struktur der Welt zu verstehen. Er fand das umfassende Axiom in der Aussage „Es existiert ein Gott“. Die spätere, unabhängige Wissenschaft von der Wirklichkeit entdeckte dann (noch bevor Heraklits allumfassender Grundgedanke beachtet wurde) gravierende Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten in jenem frühgeschichtlichen Ansatz. Sie verdeutlichen, dass der erste Versuch nicht die Bedingung erfüllte, die die heutige Logik an ein Axiom stellt, nämlich inhaltlich unbezweifelbar zu sein.

Mit dem (grundsätzlich höchst beachtenswerten) Gottes-Postulat war es immerhin gelungen, für den uns angeborenen Traum von einer allmächtigen, vertrauenswürdigen Vaterfigur, welche verbindliche Werte fürs Leben vorschreibt, das gebührende theoretische Forum zu schaffen. Dieses Postulat oder Axiom ist indes (unabhängig davon, ob überhaupt gesagt wird, was Geist sein soll) eine logische Aussage, und dass seine Wahrheit auch angezweifelt werden kann, hat eine weitreichende Folge: Die Religion stellt ja die Macht und Kraft des sog. „Geistes" hoch über die anderen Komponenten der Wirklichkeit. Sie versagt ihm diese Würdigung aber sofort, wenn die aussagenlogisch nicht weniger statthafte Negation „Gott existiert nicht“ auftaucht. Dann ist Geist plötzlich nichts wert. Jetzt wird ihm Unzulänglichkeit vorgeworfen und es heißt: „Gott kann man nicht mit Logik fassen.“ Das irrationale Motiv für diesen Wackelkontakt im Denken kommt aus einem angeborenen Instinkt: Man verteidigt automatisch seinen Vater.

Die Religion mag hierzu nebulös vorbringen, es gebe eben hochwertigen und minderwertigen Geist. Was auch immer: allein die Tendenz, das eine zu bevorzugen und das andere abzulehnen, macht skeptisch gegenüber dem monotheistischen Axiom und damit gegenüber der Religion als Ganzheit. Der Zweifel unterhöhlt ihre Autorität und ist nicht aufzuhalten. Autoritätsverlust verursacht schließlich aus dumpfem Gefühl Sektenbildungen und steht hinter dem Glaubensterror neu sich gründender fundamentalistischer Gruppen, die ihre Version im Namen des Vaters hart verteidigen.

Im Glaubensterror der letzten tausend Jahre spiegelt sich das Abendrot einer untergehenden Sonne. Ägypten demonstriert uns momentan diesen Niedergangs politisch. Man fühlt überall in der Welt, dass Glauben keine Konkurrenz für Wissen ist. Obwohl es der Wissenschaft nicht so schnell gelang, ein besseres Axiom zu finden, machte sie doch an Hand von Fakten gefährliche Auswirkungen der monotheistischen „Weltformel“ publik: Die Religion erzwingt z.B. eine menschenunwürdige Bewertung und Behandlung der Geschlechter (vgl. hier PM(18)). Sie bedroht zudem Abweichungen von ihrem willkürlich-dogmatischen Fundamentalismus mit brutalen Strafen ihres Gottes, errichtet also eine Schreckensherrschaft. Sie betreibt, nicht zuletzt gesehen, einen Anthropozentrismus, der die Menschheit blind macht für das Ökosystem, unsere mächtigste reale Instanz auf dem Planeten.

Wenn der Monotheismus dann auch noch euphorisch den postulierten Gott als den gütigen Allmächtigen definiert wissen will, obwohl der offenbar fortgesetzt seine allertreuesten Anhänger in blutige Revolutionen stürzt und fast jährlich einmal unter Erdbeben- oder Bombenschutt massenhaft elend zugrunde gehen lässt, dann ist Skepsis gegenüber der Religion bis hin zum Atheismus nicht verwunderlich (Zusammenhang: PM(132)).

Der Bruch zwischen modernem Logos und antikem Mythos ist ein geistiger Grabenbruch quer durch die Menschheit, der an das Zerbrechen des Urkontinents Pangäa zu Beginn der Erdneuzeit erinnert, wovon der Atlantik noch Zeugnis ablegt. Selbst die Wissenschaft geht mangels Anwendung eines zuverlässigen Axioms noch unschlüssig um mit den Aussagen „Gott existiert“ und „Gott existiert nicht“. Manche Wissenschaftler, auch Physiker, stehen mit einem Bein in der neuen Welt, mit dem andern im Mythos der Bronzezeit und übersehen so, dass von der Religion „ein enormer Schaden angerichtet wurde“.
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*) Er vertrat in seinem Werk „De rerum natura“ die antike Vorstellung vom Atom.
**) Beide Zitate wurden der Wikipedia entnommen (Stichwort „Steven Weinberg“ am 1.7.2013)

Portrait der Platonakademie
Die 1995 erneuerte Platon-Akademie (PA) versteht sich als Fortsetzung und Abschluss der antiken. Sie versucht, im naturwissenschaftlich widerspruchsfreien Konsens die richtige Antwort auf die von Platon gestellten Fragen nach der Herkunft der Naturgesetze und nach der besten Gesellschaftsform zu finden. Sie strebt keinen juristischen Status an (Verein etc.). Die PA wurde 529 von der Kirche wegen weltanschaulicher Konkurrenz geschlossen.
Leitung: Anton Franz Rüdiger Brück, geb. 1938, Staatsangehörigkeit Deutsch. Humanistisches Gymnasium. Hochschulstudien: Physik, Mathematik, Philosophie, Pädagogik. Ausgeübter Beruf: Bis 2000 Lehrer im Staatsdienst. Mail: platonakademie(at)aol.de


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