Platonakademie (131). Die Geschlechter als Knetmasse für Ideologien / Bascha Mika und Roland Tichy in „Unter den Linden“ über Geschlechter und Wirtschaftswelt / Die Amazonen scheiterten an der Selbst-Verwandlung

Platon-Akademie, 5. Februar 2013

Es geschah nicht das erste Mal in öffentlichen Gesprächsforen, als am 4.2.2013 in „Unter den Linden“ ohne ausreichende Sachkenntnis über die Geschlechterrollen diskutiert wurde. Gesprächspartner waren Roland Tichy („Wirtschaftswoche“) und Bascha Mika („TAZ“).

Die eine oder andere Wissenschaft nicht zu kennen, oder nur wenig zu kennen, ist angesichts der Vielfalt und Vielschichtigkeit heute unvermeidlich, doch völlig ohne Beachtung der Ergebnisse einer ganzen Wissenschaft öffentlich und intensiv deren Objekte zu analysieren, ist wertlos. Das Gespräch verlief ohne Bezug auf die in vielen Jahrzehnten entstandene Wissenschaft vom ererbten menschlichen Sozialverhalten. War man nicht informiert, oder ignorierte man das angesammelte Wissen? Sicherlich, es stellt einige abendländische Denktraditionen in Frage. Doch Wissenschaft ist seit Beginn der Neuzeit nur dazu da, faktisch unhaltbare gewordene alte Vorstellungen aufzuspüren.

Die Geschlechter werden seit längerer Zeit wie die tote Knetmasse von Ideologien behandelt. Das kommt an, weil sich Humansoziologie und Humanpsychologie allzulange introvertiert sträubten, den Blick zu den Naturgesetzen zu erheben, die im Menschen angelegt sind. Naturgesetze? Mit diesen wäre der Mensch nicht nach Gutdünken mehr formbar! Weil das ja wohl nicht sein kann, wird z.B. beim Wort Soziobiologie unbedenklich abgewunken – in „Unter den Linden“ tauchte es gar nicht auf. Es scheint, dass man des öfteren die Ergebnisse mehr bewusst als unbewusst missachtet.

Widerstand gegen die naturwissenschaftliche, auf Charles Darwin zurückgehende Beurteilung des Menschen hat sich heute zum Zeitgeist formiert. Fühlt man, dass die Sache ernster ist als befürchtet? Darwins Beitrag deckte dem Prinzip nach lange vor Konrad Lorenz das paläontologische Erbgut der menschlichen Verhaltensphysiologie auf. Seit Lorenz‘ Zeit und trotz eines Franz Wuketits tut die Humanwissenschaft so, als seien die Verhaltensmotive des Menschen (vgl. PM(68)) von der Entwicklung des Lebens entbunden. Dabei gilt der Mensch sogar der Bibel, die der Biologie so fern steht wie der Mond der Erde, als abhängig von Weltprinzipien. Freilich nur von mythischen.

Dass sein Verhalten, von den Motiven bis zur praktischen Lebensführung, wesentlich von seinem Erbgut mitbestimmt ist, ist jedenfalls nichts Neues. Das Erbgut hat die menschliche Lebensweise mindestens über die letzten zehn Millionen Jahre hinweg für heute vorgeprägt. Im Genom leben fort die sozialen Werte der Kleingruppe, darunter die weitgehende Unfähigkeit, mehr als 20 Menschen psychisch zu integrieren (sprich: die Massengesellschaft zu steuern, vgl. PM(18)), und es leben fort die Schwierigkeiten, Werte des anderen Geschlechts aufs eigene Konto umzubuchen: Sowohl der Mann als auch die Frau macht sich rasch selbst indifferent und annulliert den eigenen Anspruch auf Selbst(!)-Verwirklichung, wenn die persönliche Identität zu dem Zweck abgelegt wird, Rollen des anderen Geschlechts zu übernehmen. Nur: Was ist die weibliche bzw. männliche Identität? Wenn man beide erst erfinden müsste, wären Podiumsdiskussionen nötig, doch gerade die Identität ist in den Grundzügen deutlich phylogenetisch erkennbar, und jeder kennt sie.

Erklären konnte man „unter den Linden“ z.B. plötzlich überhaupt nicht mehr, warum Frauen ab 30 auffallend häufig das Ziel aufgeben, in die feindliche Konkurrenzwirtschaft einzusteigen, die der männlichen Natur so sehr entspricht. An Erklärung mangelt es jedoch keineswegs! Stammesgeschichtlich ist der Mann eben für die Auseinandersetzung mit der rauheren Außenwelt weit besser programmiert. Nicht ohne Grund führten ja schließlich nur Männer Kriege und fanden sie (zumindest im Vorgeplänkel) einfach herrlich. Die einzige jemals vorgekommene weibliche Nachahmung harter Männerpsychologie war die der Amazonen. Sie scheiterte, weil damals die Selbst(!)-Verwirklichung der Frau ganz widersinnig in Selbstveränderung ausuferte. Das Experiment (vielleicht war es auch nur ein Gedankenexperiment) wurde nie wiederholt. Die ontologischen Widersprüchlichkeiten waren zu offenkundig geworden: Denn die Amazonenkönigin Penthesileia, eine wilde Vorfahrin von Alice Schwarzer, war, weil sie den verhassten Achilles, obwohl sie ihn liebte, töten wollte, selbst getötet worden. Geschlechterkampf! Die Griechen waren passionierte Logiker.

Nichts von alldem in irgend einem der Gesprächsforen. Man muss sie gerechterweise sehr hoch schätzen, denn sie beleuchten für die Allgemeinheit (vom Menschenbild abgesehen) unsere Zeit ungewöhnlich treffend. Wem gelänge das besser? Daran, dass die Menschheit sich immer noch – wie Ptolemaios die Erde – als Scheibe betrachtet, muss aber gearbeitet werden.

Als sein Nachfolger Kopernikus nur den harmlosen Ort, an dem die Menschheit wohnt, aus der Mitte des Planetensystems entfernte, genügte das damals bereits, die Kirche in Panik zu versetzen, die rasch bemerkte: Jetzt ist aufgekommen, dass sich der Mensch der irdischen Wirklichkeit tiefer verpflichtet fühlt als dem Glauben; und die daraufhin Millionen ins Feuer der Hölle schickte. Solche Angst zieht auch in unserer Zeit wieder im Hintergrund die Fäden. Wann immer eine Wissenschaft die Kopernikanische Wende auf den Narzißmus der Menschheit ausdehnt, geht die Angst um, der Mensch könnte sich im speziellen und das Leben im allgemeinen falsch gewertet haben.

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Leitung: Anton Franz Rüdiger Brück, geb. 1938, Staatsangehörigkeit Deutsch. Humanistisches Gymnasium. Hochschulstudien: Physik, Mathematik, Philosophie, Pädagogik. Ausgeübter Beruf: Bis 2000 Lehrer im Staatsdienst. Mail: platonakademie(at)aol.de


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