Platon-Akademie(18): Staat und Krise / Eine biologische Prüfung / (Aktualisiert am 26.8.2013) .

Platon-Akademie, 30. Oktober 2009

Als in der Jungsteinzeit die Bevölkerung wuchs, musste das Individuum sich in eine anonymisierte Massengesellschaft begeben, deren Lebensregeln seinen Ansprüchen nicht mehr ganz gerecht wurden, nachdem es Millionen Jahre lang mit seinen angeborenen sozialen Verhaltensmustern in eine Kleingruppe aus lauter wohlbekannten Personen eingegliedert gelebt hatte. Da diese Muster nicht abgebaut werden konnten, wurde empfundene Ungerechtigkeit zu einem Bestandteil des Soziallebens in der Masse. Erstmals untersuchten Sokrates und Platon den Begriff der Gerechtigkeit (im Sinne etwa von Artgerechtigkeit). Daraus entstand Platons „Idealer Staat“, eine, wie es ohne Biologie erscheinen muss, übermäßig idealisierende Staatstheorie.

Auch sie war Intuition. Dass ihre Kernaussage, biologisch besehen, dennoch in ganz besonderer Weise richtig war, erkennen erst wir, die wir wissen, dass es komplexe Massenstaaten auch bei Insekten gibt, und zwar schon seit der Kreidezeit (u.a. A. Buschinger, Staatenbildung der Insekten, 1985).
Die Genome von Ameisen, Honigbienen und Termiten sind für das Leben in anonymen Massen vorprogrammiert, so dass jedes Individuum tun will, was es für einen funktionierenden Staat tun muss, während kaum ein Mensch von Herzen seinen Euro beim Finanzamt zum Wohle der Allgemeinheit abliefert. Er arbeitet wie in der Vorzeit für seine Privatsphäre.

Auf der einen Seite wollen die Individuen der Insektenstaaten in genetischer Art-Harmonie jeden Mitbürger akzeptieren, mitversorgen, schützen (die Platonische Gerechtigkeit), auf der andern ist dem Menschen diese öffentliche Nächstenliebe offenbar vollkommen misslungen. Wer sich dem Kleingruppeninstinkt überlässt, und das sind die meisten, begreift das anonyme Mitglied des eigenen Volkes nicht – d.h. er begreift es erst dann, wenn es ihm namentlich bekannt ist. Rachsucht, Mord, Fälschungen, Abzockerei, sowie eine unbegrenzte Prozesslawine, ja neuerdings die Bereicherung an der Volkswirtschaft, bezeugen das. Massengesellschaften werden dadurch in Krisen gestürzt: Revolutionen, Arbeitskämpfe, Wirtschaftskrisen kommen turnusmäßig. Kriminalität ist Standard. Der Insektenstaat kennt keinen Sozialabbau, somit keine Revolution. Kriminalität, Polizei, Justiz sind unbekannt.

Platon wusste vom Insektenstaat noch nichts. Aber er ahnte alles. Er dachte sich einen Idealstaat aus, der im wesentlichen nichts anderes darstellt. Er besteht aus einer Arbeiterschicht sowie eine Soldatenkaste (nicht gegen die eigenen Bürger, sondern gegen Eindringe, die ein ökologisches Problem sind). Und darüber hinaus gibt es eine Führungselite, die die Gerechtigkeit per Gesetz verantwortet. Bei den Insekten liegt die Gesetzgebung in der Hand der sog. Königin. Sie verfasst, genau wie eine humane Regierung, sämtliche „beruflichen“ Rollenvorschriften (Arbeitsdifferenzierungen). Sie druckt sie aber in DNS-Schrift, damit der Nachkommenschaft das richtige Verhalten gleich direkt eingegeben ist und Revolten gar nicht erst schwelen.

Noch ein Faktor charakterisiert Massenstaaten: Alle humanen Massenstaaten versuchen, aus ihrer Sicht zu Recht, die Sexualität einzuschränken, ja zu bekämpfen. Das ausschließlich für die Kleingruppe sozialtypische Sexualleben droht nämlich, der Privatsphäre Vorrang vor der Massenorganisation zu verschaffen und muss deshalb von den humanen Staatstheorien ethisch gehörig abgewertet werden. Wir wissen es: Unablässig ist öffentlich von Schmuddelei und Ekel die Rede. Sigmund Freud war es allerdings, der bemerkte, dass Menschen durch die Repression der Sexualität neurotisch werden können, dass das Bedürfnis nach Sexualleben also angeboren ist. Was ist nun wichtiger? Die Beschränkung der Sexualität praktizieren staatenbildende Insekten ohne zu erkranken, indem sie sie auf genetischem Wege von vornherein auf möglichst wenig Paare beschränken.

Der idealistische Denker Platon konnte in der Menschheit allerdings jenes Superweib nicht ausfindig machen, das ganz allein Millionen Staatsbürger gebärt, und so überließ er der Arbeiterschicht das Geschäft – die edle Kriegerkaste sollte sich des niederen (weil für den Staat untauglichen) Privatlebens ganz enthalten, streng nach Termitenmanier.

Die genetische Lenkung bei den Insekten erfüllt geradlinig den Zweck, während idealistisches Denken, bloßes Philosophieren über Staatsformen, humane Massengesellschaften ineffektiv regiert. Solange der Mensch auf absolute, imaginäre Privilegien pocht statt seinen Platz in der Biologie irgendwie geschickt einzubringen und das gewaltige System der komplexen Biosphäre bissig als „Biologismus“ und Ökodiktatur verspottet, erntet er selbst Spott. Sein Unverständnis wird er wie eh und je eine schwere Krise nach der anderen auslösen, zunehmend größere. Sein Fortschritt wird darin bestehen, dass er laufend neue Korrekturen erfindet, stolz, überlebt zu haben, und auf diese Weise voranstolpert. Solange bleiben die Insekten die einzigen staatsfähigen Lebewesen. Hoffentlich bleiben sie aber nicht überhaupt als einzige auf der Erde übrig.

Zur Vertiefung: A. Buschinger, Staatenbildung der Insekten (1985); F.M. Wuketits, Was ist Soziobiologie? (2002); D. Meadows e.a., Die Grenzen des Wachstums (1973); Interview mit D. Meadows: Südd. Zeitung 21.10.2008; I. Eibel-Eibesfeldt, Der vorprogrammierte Mensch (1973); K. Lorenz, P. Leyhausen, Antriebe tierischen und menschlichen Verhaltens (1968); W. Wickler, U. Seibt, Vergleichende Verhaltensforschung (1973); W. Wickler, Die Biologie der zehn Gebote (1971).

Platon-Akademie (PA). Sie wurde als Fortsetzung der
antiken PA neu gegründet und befindet sich im Aufbau.
Das Ziel ist jedoch grundsätzlich nicht die Fortsetzung
oder Wiedergabe der spekulativen Philosophie Platons.
Vielmehr ist es jetzt ihre Aufgabe, im
naturwissenschaftlich widerspruchsfreien Konsens die
richtige Antwort auf die großen modernen philos. Fragen
zu finden.
Leitung: A.Fr. Rüdiger Brück
Staatangeh. Deutsch
Geb. 1938 in Völklingen
Human. Gymnasium
1959 Abitur
Studien: Pädagogik, Philosophie,
Mathematik, Physik
Ausgeübter Beruf: Bis 2000 Lehrer im Staatsdienst
Platon-Akademie
Anton Franz Rüdiger Brück
Schönblickstr. 9B
D-83071 Stephanskirchen
Tel. 08036/908110
Mail platonakademie@aol.com


Original-Inhalt von Platon-Akademie und übermittelt von Platon-Akademie