Platon-Akademie(103) zu „Unter den Linden“ vom 19.3.2012 / Demokratie contra „Grüner Faschismus“ / Flucht in die „Doppelte Wahrheit“ / Prognosen

Platon-Akademie, 25. März 2012

In der Talk-Show „Unter den Linden“ am 19. März 2012 zeichnete sich die durch die Aufklärung bedingte Begriffsverwirrung (PM(102)) am Beispiel Grüner Politik ab. Die Leitung hatte Christof Minhoff. Als Diskutanten waren eingeladen der Historiker Paul Nolte (Freie Universität Berlin) und der Publizist Wolfgang Herles. Es ging um die Frage, ob sich die repräsentative Demokratie in einer Krise befindet, weil sich Politik mehr und mehr ins Volk verlagert und in Talk-Shows oft tiefgründiger abspielt als in Parlamenten.

Das Konfliktfeld, das vor der Öffentlichkeit gewöhnlich zugehängt wird, kam zum Vorschein, als Wolfgang Harles (Nichtraucher) den Initiator des Rauchverbots als „Grünen Faschisten“ einordnete. Dem wurde nicht widersprochen! Vermutlich hat man das Thema nie aufrichtig analysiert. Schon Norbert Lammert hatte (PM(80)) in der Politik kein Vollzugsorgan für die Wissenschaft erkennen können (womit er kaum Geisteswissenschaften gemeint haben dürfte). Das erinnert sehr an den in der Scholastik gestarteten Versuchsballon der „Doppelten Wahrheit“, der die peinliche Kluft zwischen Wissen und Glauben verwischen sollte. Es fiel Lammert augenscheinlich nicht auf, dass man die großen Fragen einfriert, sobald man sie gegen die Biologie isoliert.

Kein Parlament kann über die Biologie des Menschen abstimmen. Weil der Mensch aber per Dogma gar kein biologisches Wesen ist, „löst“ sich das Problem dann doch auch demokratisch. Aus dem biologischen wird ein ethisches, indem jeder Entscheidung die Mythen aus der Bronzezeit zugrunde gelegt werden: Maßgeblich ist für die Beurteilung des Rauchers nicht dessen Lunge, sondern sein (angeblich existierender) göttlich-freier Wille.

Der politische Blick fühlt sich von den biologischen Argumenten verfolgt und weicht so weit wie möglich aus, indem er sich, wenn es gar nicht anders geht, vom Raucherschutz ab- und dem Nichtraucherschutz zuwendet. Hier, wo der geheiligte „freie Wille“ verletzt wird, lässt sich etwas gegen den Rauch sagen. Leider droht auch dieser Legitimation der ursprüngliche Stolperstein: Spätestens hier muss nämlich auch endlich der Medizin Genüge getan werden – und die ist Biologie.

Doppelte Wahrheit ist ein Versteckspiel mit der Wahrheit: Das Wort „Medizin“ kommt emotional besser an als „Biologie“, weil die Medizin bis nach dem Mittelalter rein anthropozentrische Geisteswissenschaft war (was auch heute noch dominiert). Betitelt die Medizin sich als Teilgebiet der Biologie, erscheint sie der Politik, die von Adam und Eva redet, sofort als Gegnerin der menschlichen Privilegien vor den Naturgesetzen (PM(52)), so dass sie sich lieber freiwillig neben der Biologie einordnet statt unter ihr. Aber sie ist auch so, weil „daneben“, in Verlegenheit: Während sie als Biologie zum Fremdling mit unverständlicher Sprache wird, verschleiert eine Trennung von der Biologie ihr humanes bzw. humanistisches Gesicht, weil sie die biologischen Voraussetzungen des Menschen nicht mehr zum Menschsein rechnet.

Wenn wirklich der Raucher selbst (wir bleiben bei dem Beispiel) ins Visier genommen werden muss und mit ihm der freie Wille in die Kritik gerät, wird in politischen Debatten letztendlich Zuflucht gesucht beim Begriff der Begierde, der Sucht. Mit ihm kann man erneut das Ganze den uralten Moralkriterien zuspielen: Sucht ist Maßlosigkeit, also Hauptsünde. Das hat transzendentale Autorität, privilegiert den Menschen vor dem schrecklichsten der Schrecken, der exakten Molekularbiologie.

Vielleicht ist die schlimmste Konsequenz aus diesen kreuzweisen Neigungen, Abneigungen und sonstigen Animositäten die, dass man anfängt, Kritik überhaupt als solche zu verniedlichen. Die ganze Ökologie wird längst verniedlicht, es geht gar nicht mehr anders, und das ist brandgefährlich

Mit der Grünen Bewegung ergießt sich nun durch ein neuerliches Leck, vergleichbar jenem im Golf von Mexico, massiv die Biologie in die mythischen Prinzipien der Parlamente. Die Gefährlichkeit der Situation ähnelt mehr und mehr der von 1453 in Konstantinopel, wo man, als vor den Toren schon die Kanonen der Türken donnerten, darüber diskutierte, ob es die Engel gibt. Das Leck lässt sich nämlich seit 1980 nicht mehr schließen, sondern wird immer größer. Sandsäcke nützen gegen das Stiefkind Biologie nichts mehr. Das Mittelalter ist vorbei. Die Politik spürt diese „Verschmutzung“ ihrer Ideo-Logien. Misstrauen gegenüber der Kernkraft, gegenüber der Pflanzen-Gen-Technologie, gegenüber der Nährmittelchemie, gegenüber Tierhaltung und Artendezimierung, überhaupt das vermehrte Auftauchen der Vorsilben Bio- und Öko- bis hin zum Hausbau usw. zeigen, dass Menschengemachtes nicht als einwandfrei empfunden wird. Neu ist dies nicht. Schon Theodor Fontane hat gesehen: „Tand, Tand ist das Gebilde aus Menschenhand“.

Weil echtgrüne Politik (das ist hier nicht parteipolitisch gemeint) die Diskussion über traditionelle Werte und Unwerte biologisch führt (PM(18), (52), (62), (63), (68)), wird sie in absehbarer Zeit auch die Übervölkerung der Erde und Kontinente mit ins Boot nehmen. Auf parlamentarischer Ebene wird die Vermehrung der Menschheit bislang noch naiv bronzezeitlich begrüßt. Unter der Grünen „Aufklarung“ des Wissens wird der Schutz der Biosphäre, eines Lebewesens höherer Ordnung, weltweit in die Verfassungen vordringen. Anfänge beobachtet Europa mit angstvoller Irritation in Südamerika (PM(97)).

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Die 1995 erneuerte Platon-Akademie (PA) versteht sich als Fortsetzung und Abschluss der antiken. Es geht ihr aber nicht um die Fortsetzung der spekulativen Philosophie Platons, auch Textkritik ist die Ausnahme. Sie versucht, im naturwissenschaftlich widerspruchsfreien Konsens die richtige Antwort auf die von Platon gestellten Fragen nach der letzten Ursache der Naturgesetze und nach der Gesellschaftsordnung zu finden. Sie wurde 529 von der Kirche geschlossen. Leitung: Anton Franz Rüdiger Brück, geb. 1938, Staatsangeh. Deutsch. Humanistisches Gymnasium. Hochschulstudien: Physik, Mathematik, Pädagogik, Philosophie. Ausgeübter Beruf: Bis 2000 Lehrer im Staatsdienst.
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